Das Wildschwein
Quelle: Wikipedia
Das Wildschwein (Sus scrofa) gehört zur Familie der altweltlichen oder echten Schweine (Suidae) aus der Ordnung der Paarhufer. Männliche Wildschweine nennt man Keiler, ein starker, älterer Keiler ab dem fünften oder sechsten Lebensjahr wird als Basse oder Hauptschwein bezeichnet. Das weibliche Tier heißt Bache, das Jungtier beiderlei Geschlechtes nennt man von seiner Geburt bis zum darauffolgenden 31. März Frischling; der Jäger nennt es auch Frosch. Ab dem der Geburt folgenden 1. April werden junge Wildschweine als Überläufer, genauer als Überläuferbache bzw. Überläuferkeiler, bezeichnet.
Körperbau
Der Körper des Wildschweins wirkt von der Seite betrachtet gedrungen und massiv. Dieser Eindruck wird verstärkt, da ihre Beine – in der Jagdsprache „Läufe“ genannt – im Vergleich zu ihrer relativ großen Körpermasse kurz und nicht sehr stark wirken. Im Verhältnis zur Körpermasse wirkt auch der Kopf fast überdimensioniert. Er läuft nach vorn keilförmig aus. Die Augen liegen relativ weit oben im Kopf und sind nach schräg-vorn ausgerichtet. Die Ohren – die sogenannten „Teller“ in der Jagdsprache – sind verhältnismäßig klein. Sie sind von einem Rand zottiger Borsten umgeben. Der kurze, gedrungene und wenig bewegliche Hals ist nur erkennbar, wenn Wildschweine ihr Sommerhaar tragen. Im Winterhaar wirken Wildschweine, als ginge der Kopf direkt in den Rumpf über. Von der Stirn des Kopfes über den Rücken verläuft ein Kamm langer Borsten, die aufgestellt werden können.
Die Körperhöhe nimmt zu den Hinterbeinen ab. Der Körper endet in einem bis zu den Fersengelenken hinabreichenden Schwanz, der sehr beweglich ist und der durch Pendelbewegungen oder durch Anheben die Stimmung des Wildschweins signalisiert.
Von vorn betrachtet wirkt der Wildschweinkörper fast schmal. Ihre Körperform ist eine Anpassung an ihre wichtigsten Lebensräume:
„... [sie kennzeichnen] das Wildschwein als eine Intermediärform zwischen dem sogenannten ‚Brecher-‘ und dem ‚Schlüpfertyp‘. In seinen wichtigsten Lebensräumen, den unterwuchsreichen, feuchten bis sumpfigen Laubmischwäldern, vermag es auf schmalsten, tunnelartigen Wechseln zu ziehen, aber auch Hindernisse durch robuste Gewalt zu beseitigen. Keine hinderlichen Körperfortsätze, wie Geweihe oder Hörner [...] bieten Strauch, Dorn und Schilf eine Angriffsfläche.“
Haarkleid
Haarkleid von ausgewachsenen Wildschweinen und Überläufern:
Das Haarkleid des Wildschweins ist dunkelgrau bis braun-schwarz mit langen borstigen Deckhaaren und kurzen feinen Wollhaaren. Es dient vor allem der Wärmeregulation, da der zwischen den Haaren eingeschlossene Luftraum eine zu starke Abgabe der Körperwärme verhindert. Die glatten Deckhaare verhindern, dass die Haut beim Durchstreifen von Gestrüpp verletzt wird. Das Wollhaar bedeckt den gesamten Körper mit Ausnahme einiger Kopfpartien und des unteren Teils der Beine.
Im Frühjahr verliert das Wildschwein das lange, dichte Winterhaar und hat ein kurzes, wollhaarfreies Sommerkleid mit hellgefärbten Haarspitzen. Der Haarkleidwechsel findet in einem Zeitraum von etwa drei Monaten statt und beginnt in Mitteleuropa in den Monaten April bis Mai. Wildschweine wirken in ihrem Sommerkleid wesentlich schlanker, und auch ihr kurzer Hals ist klar erkennbar. Überläufer beginnen bereits ab Ende Juli oder Anfang August allmählich ihr Winterkleid zu entwickeln. Bei ausgewachsenen Wildschweinen beginnt die Entwicklung des Winterhaarkleids erst im September. Im November ist die Entwicklung des Winterhaarkleides abgeschlossen.
Gefleckte Wildschweine:
In Wildschweinpopulationen treten immer wieder Wildschweine auf, die schwarzbraune bis schwarze Flecken unterschiedlicher Größe aufweisen. Gelegentlich werden sogar schwarzweiß gefleckte Wildschweine beobachtet. Bei Untersuchungen in der DDR in den 1970er Jahren traten Fleckungen bei etwa drei von hundert Wildschweinen auf. Die Fleckung wird rezessiv vererbt. Diese Färbungen werden darauf zurückgeführt, dass Hausschweine lange Zeit als Weideschweine gehalten wurden und es dabei zur Kreuzungen zwischen den Wildschweinpopulationen und Hausschweinen kam.
Polnische Untersuchungen aus demselben Zeitraum haben gezeigt, dass stark schwarzweiß gefärbte Wildschweine im Vergleich zu ihren normal gefärbten Artgenossen eine höhere Sterblichkeitsrate haben, da bei ihnen die Wärmeregulation weniger gut funktioniert.
Frischlingshaarkleid:
Frischlinge haben ein helles Haarkleid, das in der Regel vier bis fünf gelbliche, von den Schulterblättern bis zu den Keulen reichende Längsstreifen aufweist. Auf der Schulterpartie sowie auf den Keulen sind die Tiere gefleckt. Die Streifenform und die Fleckung ist so individuell, dass Frischlinge eindeutig identifiziert werden können. Ihr Deckhaar ist noch wesentlich weicher und wolliger als bei älteren Tieren und schützt die Tiere gegenüber Feuchtigkeit weniger gut. Das Frischlingshaarkleid wird etwa drei bis vier Monate getragen, bevor die Tiere allmählich das einfarbig bräunliche Jugendhaarkleid bekommen. Es ist grobhaariger als das Frischlingshaarkleid, jedoch immer noch weicher als das ausgewachsener Tiere und hat auch weniger gut entwickelte Wollhaare. In Mitteleuropa entwickeln die Jungtiere im Oktober und November ihr erstes Winterkleid, das dann auch vermehrt die graue bis schwarze Färbung ausgewachsener Tiere zeigt.
Körpergewicht und Körpergröße
Welches Gewicht und welche Körperlänge Wildschweine haben, hängt vom Verbreitungsgebiet ab. Als grobe Regel kann gelten, dass die südlichen Unterarten kleiner und weniger schwer werden und dass die Körpermasse und Körpergröße in nördlicher Verbreitungsrichtung zunehmen. Vollkommen ausgewachsen sind Wildschweine ab ihrem fünften Lebensjahr; in Mitteleuropa haben Bachen dann eine Kopf-Rumpf-Länge von 130 bis 140 cm und wiegen zwischen 55 und 70 kg. Keiler erreichen eine Länge von 140 bis 150 cm und wiegen zwischen 80 und 90 kg.
Wildschweine in Astrachan, im Schutzgebiet der Beresina und im Kaukasus werden deutlich größer und schwerer. Keiler können hier eine Körperlänge bis zu 200 cm und ein Gewicht bis zu 200 kg erreichen.
Verbreitung
Das Wildschwein ist ein in ganz Eurasien sowie in Japan und in Teilen der südasiatischen Inselwelt in etwa 20 Unterarten verbreitetes Wildtier. In Nordafrika war es bis vor wenigen Jahrhunderten entlang des Niltals bis südlich von Khartum sowie nördlich der Sahara verbreitet. Mittlerweile gilt das Wildschwein in Nordafrika als selten. Die früher von der Südtürkei bis nach Israel und Palästina vorkommende Wildschweinunterart Sus scrofa libycus sowie die früher in Ägypten und Sudan beheimatete Unterart Sus scrofa barbarus gelten als ausgestorben.
Innerhalb des natürlichen Verbreitungsgebiets fehlt das Wildschwein außerdem in den mongolisch-chinesischen Wüsten, den Kammlagen des Himalaja sowie den Hochgebirgslagen der Alpen, des Kaukasus, des Pamir und des Altai-Gebirges. Das Verbreitungsareal hat sich dabei im Laufe der Jahrtausende mehrfach verändert. Während der pleistozäen Kaltzeiten hat sich das Verbreitungsgebiet mehrfach in östlicher und südlicher Richtung verschoben und während Wärmeperioden wieder in westlicher und nördlicher Richtung ausgedehnt.
In den letzten Jahrhunderten hat sich das Verbreitungsgebiet des Wildschweins vor allem aufgrund menschlicher Eingriffe verändert. Mit der Ausdehnung und Intensivierung der Landwirtschaft nahm auch die Bejagung des Wildschweins zu, so dass beispielsweise in England das Wildschwein bereits zu Beginn des 17. Jahrhunderts ausgerottet war. In Dänemark erlegte man die letzten Wildschweine Anfang des 19. Jahrhunderts, bis 1900 gab es in Tunesien und dem Sudan keine Wildschweine mehr, und auch in Deutschland sowie in Österreich, Italien und der Schweiz waren weite Teile wildschweinfrei. Zu den deutschen Regionen, in denen bis in die 1940er Jahre Wildschweine nicht mehr vertreten waren, zählen beispielsweise Thüringen, Sachsen, Schleswig-Holstein, Baden und Württemberg.
Rückgewinnung des Verbreitungsgebiets
Eine Bache kann im Laufe ihres Lebens bis zu 50 Frischlinge gebären. Aufgrund dieser Vermehrungsfähigkeit und da Wildschweine anpassungsfähige Allesfresser sind, haben sich Wildschweine im 20. Jahrhundert weite Teile ihres ursprünglichen Verbreitungsgebietes wieder zurückerobert. So sind beispielsweise in die italienische Toskana, die lange Zeit aufgrund der intensiven landwirtschaftlichen Bewirtschaftung wildschweinfrei war, in den 1990er Jahren wieder Wildschweine eingewandert.
Besonders gut dokumentiert ist die Arealerweiterung in Osteuropa. Um 1930 gab es in einigen Arealteilen wie beispielsweise den Sumpfwaldgebieten Belorusslands, der Ukraine, Litauens und Lettlands noch Wildschweinbestände. Von dort aus verbreiteten sich die Wildschweine anfangs entlang der Flussniederungen von Düna, Dnjepr und Desna sowie später auch entlang der Oka, Wolga und dem Don. Um 1960 waren Wildschweinbestände bereits von St. Petersburg bis Moskau wieder verbreitet; um 1975 erreichten Wildschweine Archangelsk bis Astrachan. Auch in Finnland wanderten Wildschweine wieder ein.
Ähnliches vollzog sich auch in westlicher Richtung. In den 1970er Jahren gab es in Dänemark und Schweden wieder wilde Wildschweinvorkommen, wobei diese jedoch auf aus Wildgehegen ausgebrochene Tiere zurückgingen.
Die Populationsentwicklung der letzten Jahrzehnte wird auch an den Jagdstrecken deutlich. So wurden in Deutschland in den Jahren 2000 bis 2003 erstmals jeweils mehr als 500.000 Wildschweine erlegt. In den 1960er Jahren lag die jährliche Jagdstrecke noch unter 30.000 Tieren.
Vordringen in den städtischen Lebensraum
Die Anpassungsfähigkeit der Wildschweine zeigt sich besonders deutlich in Berlin – Wildschweine haben sich dort die stadtnahen Wälder als Lebensraum erobert und dringen heute auch in die Vorstädte ein. Gelegentlich führt sie ihr Weg jedoch auch in die Innenstadt. So mußten im Mai 2003 zwei Wildschweine erschossen werden, die auf dem Alexanderplatz auftauchten.
Der Bestand an Wildschweinen rund um Berlin wird mittlerweile auf 10.000 Tiere geschätzt. Im unmittelbaren Stadtgebiet fühlen sich nach Schätzungen der Berliner Forstverwaltung rund 4.000 Tiere wohl. Sie dringen in die Gärten und Parks ein und richten dort beträchtliche Schäden an. So wurde im Frühherbst 2003 beispielsweise das Trainingsgelände des Hertha BSC von Wildschweinen umgegraben und die Pfaueninsel, die die Wildschweine nachtsüber vom Grunewald herüberschwimmend erreichen, über weite Strecken in einen umgepflügten Acker verwandelt. Sie durchstöbern auch Mülltonnen nach Essensresten. Die intelligenten Tiere registrieren sehr schnell, dass ihnen in Wohngebieten keine Bejagung droht, und werden gelegentlich sogar tagaktiv. So sind in Berliner Stadtparks am hellichten Tag spielende Frischlinge zu beobachten.
Anders als bei den ebenfalls in den städtischen Lebensraum vordringenden Rotfuchs, Waschbär und Marderhund stellen Wildschweine für den Menschen tatsächlich eine potentielle Gefahr dar. Aufgrund ihrer Größe und ihres unberechenbaren Verhaltens können sie Unfälle im Straßenverkehr und mit Passanten verursachen. Der Berliner Senat hat deswegen ein strenges Fütterverbot erlassen, um zu verhindern, dass noch mehr Wildschweine in die Stadt gelockt werden.
Ausgewilderte Wildschweinbestände
Wildschweine auf dem Areal von Cape Canaveral, in Florida sind Wildschweine Neozoen.Das Wildschwein wurde zu Anfang des 20. Jahrhunderts zu Jagdzwecken in den USA eingebürgert, wo es sich zum Teil mit verwilderten Hauschweinen vermischt hat, die seit Anfang des 16. Jahrhunderts im Südwesten der Vereinigten Staaten (vor allem in Texas) lebten. Durch diese Vermischung gibt es in Nordamerika heute keine klare Abgrenzung zwischen Hausschwein und Wildschwein mehr. Dabei scheint es sich aber so zu verhalten, dass bei der zur Zeit recht schnellen Expansion der wildlebenden Schweinebestände Tiere, die einen relativ hohen Wildschwein-Anteil haben, sich gegenüber Schweinen mit hohem Hausschwein-Anteil durchsetzen, zumal die Bestände oft scharf bejagt werden. Zu den US-Staaten mit einem hohen Wildschweinbestand zählen Kalifornien, Florida, South Carolina, Georgia, Alabama, Arkansas, Oklahoma, Arizona und Louisiana.
Auch in Südamerika gibt es ausgewilderte Wildschweinbestände. In Argentinien wurden Wildschweine um 1900 eingebürgert und leben dort zwischen dem 40. und 44. Breitengrad.
Wildschweinbestände, die sich zum Teil ebenfalls mit dem Hausschwein vermischt haben, gibt es außerdem auch auf Neuseeland und in Australien sowie auf Hawaii, Trinidad und Puerto Rico. In Australien wurde das Wildschwein zu Beginn des 19. Jahrhunderts eingeführt, um dort unter anderem Schlangen zu bekämpfen. Heute gelten Wildschweine in Australien als Plage - sie töten beispielsweise regelmäßig neugeborene Lämmer und gelten daher als landwirtschaftliche Schädlinge.
Lebensraum
Wildschweine sind in der Lage, sich unterschiedlichsten Lebensräumen anzupassen. Dazu trägt bei, dass das Wildschwein ein ausgesprochener Allesfresser ist, der sich schnell Nahrungsnischen erschließt, in denen er wenig Nahrungskonkurrenten hat. Wildschweine haben außerdem die Fähigkeit, den Boden aufzubrechen und können sich damit nährstoffreiche Wurzeln, Knollen und Rhizome als Nahrung zugänglich machen, die anderen Großsäugern nicht zur Verfügung stehen. Mit ihrem kräftigen Gebiss sind sie sogar in der Lage, hartschalige Früchte wie Kokosnüsse aufzubrechen. Wildschweine sind außerdem ausgezeichnete Schwimmer und verfügen über eine gute Wärmeisolation, so dass sie sich auch an Feuchtgebieten anpassen können. Auf Grund dieser Fähigkeit zählen sowohl borealer Nadelwald, schilfbewachsene Sumpfgebiete als auch immergrüner Regenwald zu den Lebensräumen, die vom Wildschwein besiedelt werden können.
Ihre nördliche Verbreitung wird dadurch begrenzt, dass über längere Zeit gefrorener Boden es ihnen unmöglich macht, an unterirdische Nahrungsreserven zu gelangen. Hoher Schnee behindert außerdem ihre Fortbewegung und damit ihre Nahrungssuche. Aus diesem Grund fehlen Wildschweine auch in Hochgebirgslagen.
Im klimatisch gemäßigten Mitteleuropa entwickeln Wildschweine die höchste Bestandsdichte in Laub- und Mischwäldern, die einen hohen Anteil an Eichen und Buchen haben und in denen es sumpfige Regionen sowie wiesenähnliche Lichtungen gibt.
Den subtropischen und tropischen Klimabedingungen passen sich Wildschweine durch eine Reduktion des Haarkleides an; sie bilden außerdem kein Unterhautfett, das ihnen im nördlichen Verbreitungsgebiet als Wärmeisolation dient. In heißen Regionen sind Wildschweine jedoch auf Wasserquellen angewiesen. Wüsten werden daher von ihnen nicht besiedelt.
Ernährung
Eicheln gehören zur Lieblingsnahrung von Wildschweinen.Das Wildschwein als Allesfresser durchwühlt bei der Nahrungssuche den Boden nach essbaren Wurzeln, Würmern, Engerlingen, Mäusen, Schnecken und Pilzen. Dieses Durchwühlen des Bodens wird in der Jagdsprache auch „brechen“ genannt. Wildschweine fressen neben Wasserpflanzen wie beispielsweise dem Kalmus auch Blätter, Triebe und Früchte zahlreicher Holzgewächse, Kräuter und Gräser. Als Allesfresser nehmen sie auch Aas und Abfälle an. Es wurde beobachtet, dass Wildschweine Kaninchenbauten aufbrechen, um die Jungkaninchen zu fressen. Gelegentlich fallen ihnen auch Eier und Jungvögel bodenbrütender Vögel zum Opfer. Auf trockengefallenen Seen fressen sie sogar Muscheln.
Eine besondere Rolle im europäischen Verbreitungsgebiet spielen in der Nahrung von Wildschweinen die Früchte von Eichen und Buchen. In Jahren, in denen diese Bäume besonders gut tragen (sogenannte „Mastjahre“), leben Wildschweine monatelang überwiegend von Bucheckern und Eicheln. Im asiatischen Raum gilt ähnliches für die Samen verschiedener Zirbelkieferarten.
Zur bevorzugten pflanzlichen Nahrung gehören in Mitteleuropa auch die Wurzeln von Adlerfarn und Weidenröschen. Je nach Jahreszeit haben auch die Wurzeln von Buschwindröschen, Schlangen-Knöterich, Wegerich und Sumpfdotterblumen einen größeren Anteil an ihrer Nahrung. Wildschweine weiden außerdem gerne an Klee und fressen die oberirdischen Pflanzenteile von Süßgräsern, Ampfer, Giersch, Adlerfarn und Wiesen-Bärenklau sowie Eichenlaub.
Auch wegen des landwirtschaftlichen Schadens, den Wildschweine anrichten, wurden sie intensiv bejagt. Detail eines Radschlossgewehres von ca. 1600.Wildschweine können einen erheblichen Schaden auf landwirtschaftlichen Nutzflächen verursachen. Sie fressen alle Feldfrüchte, die in Mitteleuropa in der Landwirtschaft angebaut werden. Bei Kartoffeln unterscheiden sie dabei sogar zwischen einzelnen Sorten und fressen besonders gerne Frühkartoffeln. Wildschweine durchwühlen auch Getreidefelder und richten mit ihrer Wühlerei regelmäßig einen größeren Schaden als durch das Fressen an. Auch die Schäden, die sie beispielsweise in Landschaftsparks anrichten, sind vor allem Wühlschäden. Sie graben dabei ganze Wiesen und Rabatten auf der Suche nach Blumenzwiebeln um.
Große landwirtschaftliche Schäden treten vor allem dann auf, wenn Eichen und Buchen nicht ausreichend Frucht angesetzt haben und die Wildschweine daher bevorzugt auf den landwirtschaftlichen Feldfluren auf Nahrungssuche gehen. Dies ist der Hauptgrund, warum Wildschweine so stark bejagt wurden, dass sie in Teilen Europas über Jahrhunderte hinweg fehlten. Es wird vermutet, dass die schon in der Bronzezeit nachweisbaren Einzäunungen von Feldern den Versuch darstellten, Wildschweine aus den Feldern fernzuhalten.
Wildschweine fressen allerdings auch Schadinsekten, die einen Teil ihrer Entwicklungszeit im Boden verbringen. In stark von solchen Insekten befallenen Waldbeständen entwickeln Wildschweine eine verstärkte Wühltätigkeit. Auch Mäuse werden von Wildschweinen gefressen. Wildschweinen kommt daher eine Rolle bei der Gesunderhaltung von Waldbeständen zu.
Fortbewegung und Ruheverhalten
Gangarten:
Ruhende Wildschweine belasten in der Regel alle vier Beine gleichermaßen. Im Schritttempo ist die normale Fortbewegungsform der Kreuzgang, bei dem die jeweils diagonal gegenüber befindlichen Vorder- und Hinterläufe nahezu gleichzeitig vorwärts gesetzt werden. Vorder- und Hinterbein verlassen erst dann den Boden, wenn das jeweilige andere bereits aufgesetzt hat. Die Tiere können dabei 3 bis 6 km in der Stunde zurücklegen.
Im Trab, in der Jagdsprache „Troll“ genannt, verlassen Hinter- oder Vorderbein bereits den Boden, bevor das jeweilige andere Bein aufgesetzt hat. Dieses Schritttempo können Wildschweine über eine sehr lange Zeit aufrechterhalten und legen damit 6 bis 10 km pro Stunde zurück. Im Galopp flüchten Wildschweine, wenn sie aufgeschreckt werden. Ausgewachsene Tiere legen mit jedem Galoppsprung bis zu zwei Meter zurück, allerdings können Wildschweine diese Gangart nicht lange aufrechterhalten. Sie fallen auch bei einer Flucht schnell in den Trab zurück.
Wildschweine können außerdem sehr gut schwimmen und vermögen dabei längere Strecken zurückzulegen. Sie bewegen dabei ihre Beine ähnlich wie beim Trab und nur Teile des Vorder- und Oberkopfes ragen aus dem Wasser.
Ruheverhalten
Wildschweine verbringen einen großen Teil ihres Tages ruhend. Zu welcher Tageszeit sie dies tun, ist abhängig von ihren jeweiligen Umweltbedingungen.
Zum Ruhen benutzen sie gerne spezielle Ruheplätze, die in der Jagdsprache auch „Kessel“ genannt werden und die sie sowohl einzeln als auch gemeinsam nutzen. Dösende Wildschweine liegen meist mit gestreckten Beinen, indem sie entweder auf dem Bauch ruhen und die Vorder- und Hinterbeine nach vorne oder hinten ausstrecken. Typisch ist auch die Seitenlage, bei denen die Beine im rechten Winkel abgestreckt sind. Die Kauerlage, bei der die Beine eingeknickt werden und die die typische Ruheposition beispielsweise für Rehe ist, kommen bei Wildschweinen nur für kurze Zeit vor.
„Malen“ und „Suhlen“:
Als „Malen“ wird in der Jagdsprache das Scheuern des Körpers an Bäumen beschrieben. Dieses Scheuern gehört zu dem typischen Verhaltensrepertoire von Wildschweinen und ist darauf zurückzuführen, dass Wildschweine aufgrund ihres kurzen und unbeweglichen Halses nicht in der Lage sind, sich mit Hilfe ihres Gebisses zu putzen und von Schadinsekten zu befreien. Wildschweine „malen“ dann, wenn sie sich sicher fühlen. Dazu lehnen sie sich an einen Stamm und reiben durch leichte Beuge- und Streckbewegungen ihren Körper daran entlang. Zum Scheuern ihres Unterkörpers stellen sich Wildschweine über Baumstümpfe und reiben sich daran.
Das Suhlen in Schlammlachen gehört ebenfalls zum typischen Verhaltensrepertoire von Wildschweinen. Besonders im Sommer dient es der Wärmeregulation. Durch den Schlamm werden Hautparasiten eingekapselt; die trocknende Schlammschicht erschwert außerdem Stechinsekten das Stechen.
In der Nähe der Suhlen findet man die so genannten Malbäume, an denen das Schwarzwild nach dem Suhlen „malt“. Diese Bäume weisen häufig deutliche Spuren des Malens auf. Bei jahrelanger Nutzung solcher Bäume ist dann die Rinde in Teilbereichen abgetragen.
Fortpflanzung
Die Rauschzeit:
Weibliche Frischlinge können – sofern ihnen ausreichend Nahrung zur Verfügung steht – bereits in ihrem ersten Lebensjahr geschlechtsreif werden. Männliche Tiere sind in der Regel erst im zweiten Lebensjahr fortpflanzungsfähig. Ausnahmen von dieser Regel hat man bisher nur in den USA beobachtet, wo Wildschweinpopulationen stark mit Hausschweinen durchmischt sind.
Die Zeit, in der Wildschweine brünftig oder „rauschig“ sind, bezeichnet man als Rauschzeit. Sie ist von den jeweiligen klimatischen Bedingungen abhängig; in Mitteleuropa beginnt sie meistens im November und endet im Januar oder Februar – der Höhepunkt der Rauschzeit ist im Dezember. Zu Verpaarungen kann es auch außerhalb dieser Zeit kommen – manche Autoren führen eine solche Paarungsbereitschaft außerhalb der typischen Zeit auf Hausschweineinfluss zurück. Ein sogenanntes „Nachrauschen“ tritt jedoch auch bei Bachen auf, die eine Fehlgeburt erlebt haben oder deren gesamter Wurf kurz nach der Geburt gestorben ist.
Der Beginn der Rauschzeit wird von den ausgewachsenen und einzelgängerisch lebenden Keiler eingeleitet, die ihre Sommereinstände verlassen und beginnen den Bachen zu folgen.
Werbung und Paarung:
Trifft ein Keiler in der Rauschzeit auf Bachen, beriecht er diese in deren Genitalregion. Ist die Bache brünftig, stößt er sie leicht in die Bauchseite, gegen die Flanken oder an die Halsunterseite und umkreist die Bache. Entzieht sie sich ihm, folgt er ihr nach und versucht, den Körperkontakt zu ihr aufrechtzuerhalten, indem er seinen Schädel auf ihre Kruppe legt oder an ihre Flanken presst. Dieses sogenannte Treiben kann sich über längere Zeit hinziehen. Wenn die Bache noch nicht paarungsbereit ist, attackiert sie den Keiler gelegentlich.
„Der Keiler lässt das gewöhnlich über sich ergehen und versucht, die Bache durch Nasonasal-Kontakt und Anhauchen zu beruhigen. Will die Bache überhaupt noch nicht stehen [um vom Keiler besprungen zu werden], ist sie mit dem werbenden Partner nicht einverstanden, oder geht die Rausche dem Ende zu, kann sie quiekende Abwehrlaute ausstoßen. Falls sie sich des Keilers nicht anders entledigen kann, entzieht sie ihre Analregion durch Hinsetzen oder -legen“ (Briedermann S. 252)
Zur Paarung spreizt die Bache die Hinterläufe steif-schräg nach hinten und dreht den Pürzel seitlich weg. Der Keiler reitet auf, wobei er den Kopf auf ihren Rücken legt. In dieser Stellung verbleiben beide Tiere gewöhnlich fünf Minuten regungslos, bevor die beiden Tiere sich wieder trennen.
Eine Bache paart sich während der Rauschzeit etwa sechs bis sieben Mal.
Keilerkämpfe:
Treffen während der Rauschzeit Keiler aufeinander, die um Bachen konkurrieren, kommt es in der Regel zu Hierarchiekämpfen zwischen den zwei Tieren, die stark ritualisiert ablaufen.
Zu dem Imponiergehabe, das aufeinandertreffende Keiler zeigen, gehört unter anderem ein Scharren mit den Hinterbeinen, das Verspritzen von Urin sowie das Wetzen des Kiefers. Beim Wetzen wird der Unterkiefer rasch seitlich hin und her geschoben. Die Eckzähne des Ober- und des Unterkiefers schleifen dabei aneinander. Mit zunehmender Erregung geht dies in Kaubewegungen oder Kieferschlagen über, bei denen Ober- und Unterkiefer laut auf- und zugeklappt werden. Häufig bildet sich dabei Speichelschaum am Maul der Keiler. Gleichzeitig sind die langen Borsten des Kamms aufgestellt, der Kopf ist gesenkt. Im Imponierlauf umkreisen sich die zwei Keiler, was häufig in ein gegenseitiges Schulterkämpfen übergeht.
Hat bis dahin keines der Tiere die Flucht ergriffen, kommt es dann zum echten Kampf, bei dem die Tiere ihre Unterkiefereckzähne einsetzen, um mit seitwärts-aufwärts gerichteten Hieben gegen Bauch und Körperseite zu schlagen. Dabei können sich die Tiere heftig blutende Verletzungen zufügen. Zum Ende des Kampfes kommt es erst, wenn eines der Tiere flieht.
Frischlinge:
Ein männlicher Frischling. Die siegreichen Keiler sind diejenigen, die sich mit den Bachen paaren. Die Tragezeit der Bachen beträgt etwa 114 bis 118 Tage („drei Monate, drei Wochen und drei Tage“). Die Frischlinge kommen in Mitteleuropa in der Zeit von März bis Mai zur Welt.
Die Bache wählt dabei vor der Geburt (jägersprachlich „Frischen“) sorgfältig ihren sogenannten „Frischkessel“ aus; diese Frischkessel werden umgangssprachlich auch als „Wurfkessel“ bezeichnet. Nach Möglichkeit ist er unzugänglich und weit entfernt von menschlichen Störungen. Die Frischkessel sind häufig in Richtung Süden exponiert, so dass sie von der Sonne erwärmt werden. Auch in sumpfigen Regionen sucht die Bache nach Bodenerhebungen, so dass der Frischkessel trocken ist. Sie polstert den Kessel mit Gras aus und baut anschließend eine Art Dach. Im Durchschnitt bringen Bachen etwa sieben Frischlinge zur Welt. Während der Geburt liegt die Bache gewöhnlich in der Seitenlage.
Während der ersten Lebenstage der kälte- und nässeempfindlichen Frischlinge bleibt die Bache meist im Wurfkessel. Je nach Witterungsbedingungen verlässt die Bache den Wurfkessel mit ihren Frischlingen nach ein bis drei Wochen.
Bachen verteidigen ihre Frischlinge energisch gegen jedes andere Lebewesen, sofern eine kritische Distanz unterschritten wird, die etwa bei 20 bis 40 Metern liegt. Dabei kann es auch zu Angriffen gegenüber Menschen kommen.
Die Sterblichkeit unter den Frischlingen ist sehr hoch. Frischlinge sterben vor allem dann, wenn es während ihrer ersten drei Lebenswochen zu Kälteeinbrüchen und Nässeperioden kommt, da ihre Wärmeregulation noch nicht voll ausgebildet ist. Die Sterblichkeit unter den Frischlingen ist auch davon abhängig, wieviel Fressfeinde im Gebiet leben. In raubtierfreien Gebieten sterben durchschnittlich ein Viertel der Frischlinge im ersten Lebensjahr, wobei die meisten Tiere im ersten Lebensmonat verenden. In Regionen, in denen Wölfe, Bären und Luchse den Lebensraum mit den Wildschweinen teilen, überleben nur etwa 30 von 100 Frischlingen das erste Jahr.
Das Wildschwein als Jagdwild
Das Wildschwein gehörte zum wichtigsten Jagdwild der Menschen des Mesolithikums. Aufgrund archäologischer Befunde ist man der Überzeugung, dass Wildschweine in Mitteleuropa etwa 40 bis 50 % der Jagdbeute ausmachten. Unsere Vorfahren verwendeten Fallgruben und jagten mit Pfeil und Bogen die leicht zu erlegenden Frischlinge und Überläufer.
Für den Menschen war das Wildschwein aber auch Nahrungskonkurrent. Bereits die ersten Ackerbesteller mussten ihre Felder vor dem wühlenden Wildschwein schützen. Bronzezeitliche Zäune werden daher auch als Schutz vor den Wildschweinen gewertet.
Während Frischlinge und Überläufer einfache Beute waren, stellte die Jagd auf einen ausgewachsenen Keiler eine Mutprobe dar. Ein verletzte Bache oder ein gereizter Keiler greift auch den Menschen an und insbesondere die männlichen Tiere vermögen mit ihren langen Eckzähnen dem Mensch tödliche Verletzungen beizufügen. Es galt daher durchaus als königliche Mutprobe, sich nur mit der so genannten Saufeder – einem kurzen Speer – auf Wildschweinjagd zu begeben. Die erfolgreiche Jagd Karls des Großen auf einen Keiler wird dementsprechend auch in der St. Galler Handschrift Carolus Magnus et Papa Leo aus dem Jahre 799 gewürdigt.
Wie zahllose Gemälde und kunsthandwerkliche Arbeiten zeigen, war die Schweinehatz mit Pferd und Jagdhunden die übliche Jagdweise. Am württembergischen Fürstenhof wurden zu Anfang des 17. Jahrhunderts 900 große Jagdhunde gehalten, mit denen man auf Wildschweinjagd ging. Die wertvollen Hunde, die man auch als „Sauhunde“ oder „Saupacker“ bezeichnete, wurden gegen die Angriffe der Wildschweine mit breiten Halsbändern und mitunter sogar Panzerhemden geschützt. Aufgabe der Hunde war es, das Wildschwein so lange zu hetzen, bis es ermüdete und es dann an einem Ort festzuhalten, bis der Jäger es aus naher Entfernung tötete. Bei diesen Sauhatzen wurden regelmäßig Menschen, Pferde und Hunde durch angreifende Wildschweine schwer und mitunter tödlich verletzt.
Die Entwicklung der Feuerwaffen machten die Jagd auf das Wildschwein einfacher. Es bestand keine Notwendigkeit mehr, sich einem mit seinen Hauern wild schlagenden Keiler direkt zu stellen. Trotzdem war insbesondere im Barock die Jagd auf das Wildschwein fester Bestandteil des höfischen Zeremoniells. Schweinhatzen zu Pferd gehörten zwar noch zu den fürstlichen Vergnügungen, häufig wurden die Tiere jedoch auch in sogenannten Hetz- oder Saugärten vor die Flinten der höfischen Gesellschaft getrieben. Die erjagten Tiere hatten dabei durchaus auch eine Rolle bei der Versorgung der Bevölkerung mit Fleisch. 1669 verkaufte beispielsweise das „Proviant- und Rauchhaus des Jägerhofes Dresden“ 616 geschossene Tiere an die Bevölkerung; in Preußen waren die Bürger der Städte gezwungen, die vom königlichen Hof erjagten Wildschweine abzukaufen. Dem gegenüber stand der massive landwirtschaftliche Schaden, die die Wildschweine auf den Feldern anrichteten. Den Bauern war es in der Regel nicht erlaubt, die in ihre Felder einfallenden Wildschweine abzuschießen – sie durften lediglich mit Knüppeln ihre Anbauflächen schützen.
Dies änderte sich mit dem Verfall des Absolutismus. Jagdbeschränkungen auf Wildschweine wurden aufgehoben und ab dem letzten Drittel des 18. Jahrhunderts wurden in vielen mitteleuropäischen Ländern Verordnungen erlassen, nach denen Wildschweine nur noch in Tiergärten oder Wildgattern erlaubt waren. Mitte des 19. Jahrhunderts war das Wildschwein deswegen in zahlreichen mitteleuropäischen Regionen nicht mehr vertreten. Dazu trug wesentlich bei, dass in Folge der Revolution von 1848 das Jagdrecht an das Grundeigentum gebunden wurde. Der Jagdinhaber hatte den entstehenden Wildschaden zu ersetzen und dies führte zu einer massiven Dezimierung der Wildschweinbestände. Das preußische Wildschadengesetz von 1891 beispielsweise verlangte vom Jagdberechtigten vollen Ausgleich des Wildschweinschadens, wenn ihm Hegeabsichten unterstellt werden konnte. Als Hegeabsicht wurde dabei schon gewertet, wenn der Jagdberechtigte eine Bache mit Frischlingen nicht abschoss.
Wie im Kapitel „Verbreitung“ beschrieben, waren in den 1940er Jahren des 20. Jahrhunderts viele Regionen Mitteleuropas von Wildschweinen nicht mehr besiedelt. Zur Ausbreitung des Wildschweins hat beigetragen, dass in den ersten Nachkriegsjahren insbesondere in Deutschland die Jagd nur noch eingeschränkt erlaubt war.
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